Der seit dem 1. Janu­ar 2021 gel­ten­de neue § 15b Abs. 8 InsO sieht vor, dass eine Ver­let­zung steu­er­recht­li­cher Zah­lungs­pflich­ten nicht vor­liegt, wenn zwi­schen dem Ein­tritt der Zah­lungs­un­fä­hig­keit nach § 17 InsO oder der Über­schul­dung nach § 19 InsO und der Ent­schei­dung des Insol­venz­ge­richts über den Insol­venz­an­trag (also der Ent­schei­dung über die Ver­fah­rens­er­öff­nung) Ansprü­che aus dem Steu­er­ver­hält­nis nicht oder nicht recht­zei­tig erfüllt wer­den, sofern die antrags­pflich­ti­gen Geschäfts­lei­ter recht­zei­tig ihren Insol­venz­an­trags­pflich­ten nach § 15a InsO nachkommen.

Mit die­ser Neu­re­ge­lung woll­te der Gesetz­ge­ber den Kon­flikt zwi­schen der Mas­se­si­che­rungs­pflicht und der haf­tungs­be­wehr­ten Steu­er­zah­lungs­pflicht des Geschäfts­lei­ters zuguns­ten der Mas­se­si­che­rungs­pflicht lösen. Vor die­ser Neu­re­ge­lung ist das Haf­tungs­di­lem­ma in der Pra­xis gelöst wor­den, in dem man vor­her die Finanz­ver­wal­tung über den bevor­ste­hen­den oder ein­ge­reich­ten Antrag infor­miert und die Steu­ern ab dem Ein­tritt der Zah­lungs­un­fä­hig­keit unter dem Vor­be­halt der Anfech­tung (Anfech­tungs­lö­sung) abge­führt hat.

Rele­van­te Fallkonstellationen

Die fol­gen­den Fall­kon­stel­la­tio­nen zei­gen aber, dass der Gesetz­ge­ber hier den ver­ant­wort­li­chen Geschäfts­lei­tern eher Stei­ne statt Brot gelie­fert hat.

I. Kurz vor dem Insol­venz­an­trag, der noch inner­halb der Antrags­frist gestellt wird, sind Steu­ern zur Zah­lung fäl­lig. Soll­te der Geschäfts­lei­ter die Steu­ern nach der Anfech­tungs­lö­sung zah­len oder gilt der neue § 15b Abs. 8 InsO?

Wenn das Unter­neh­men den geplan­ten Insol­venz­an­trag auch wirk­lich inner­halb der nach § 15a Abs. 1 InsO vor­ge­schrie­be­nen Antrags­frist stellt, könn­te sich der Geschäfts­lei­ter auf den § 15b Abs. 8 InsO beru­fen und die Steu­ern des­we­gen nicht abfüh­ren. Genau hier­in liegt jedoch das Pro­blem. Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass die Finanz­ver­wal­tung sich im Nach­hin­ein dar­auf beru­fen wird, dass der Insol­venz­an­trag eben nicht recht­zei­tig gestellt wur­de und einen Haf­tungs­be­scheid erwirkt. Gera­de Juris­ten sind im Nach­hin­ein immer schlau­er. Ob der in Anspruch genom­me­ne Geschäfts­lei­ter sich dann mit Erfolg unter Beru­fung auf § 15b Abs. 8 InsO dage­gen weh­ren kann, ist frag­lich. Er muss dafür zwei­fels­frei nach­wei­sen, dass er tat­säch­lich recht­zei­tig inner­halb der Antrags­frist (also inner­halb von drei Wochen nach Ein­tritt der Zah­lungs­un­fä­hig­keit bzw. sechs Wochen nach Ein­tritt der Über­schul­dung) den Insol­venz­an­trag gestellt hat.

Die­ses Pro­blem kann umschifft wer­den, wenn wei­ter­hin vor Antrag­stel­lung mit der Anfech­tungs­lö­sung gear­bei­tet wird.

II. Was gilt bei fäl­li­gen Sozialversicherungsbeträgen?

Die Pri­vi­le­gie­rung des § 15b Abs. 8 InsO gilt nicht bei fäl­li­gen Sozi­al­ver­si­che­rungs­be­trä­gen. Inso­fern ist hier wei­ter­hin das Haf­tungs­di­lem­ma zwi­schen Mas­se­si­che­rungs­pflicht und Straf­bar­keit wegen Nicht­ab­füh­rung der Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge der Sozi­al­ver­si­che­rung zu beach­ten. Vor die­sem Hin­ter­grund soll­te bei kurz vor Antrag­stel­lung fäl­li­gen Bei­trä­gen nur der Arbeit­neh­mer­an­teil im Wege der Anfech­tungs­lö­sung gezahlt werden.

III. Was gilt, wenn die Insol­venz­an­trags­pflicht abge­lau­fen ist, der Antrag also ver­spä­tet gestellt wird. Wie gehe ich vor Antrag­stel­lung mit fäl­li­gen Steu­ern und Sozi­al­ver­bind­lich­kei­ten um?

Im Hin­blick auf die fäl­li­gen Steu­ern vor Antrag­stel­lung gilt die Pri­vi­le­gie­rung des § 15b Abs. 8 S. 2 InsO aus­drück­lich nicht. Um hier Haf­tungs­ri­si­ken für die Geschäfts­lei­ter zu mini­mie­ren, soll­ten sowohl Steu­ern als auch die fäl­li­gen Arbeit­neh­mer­an­tei­le (aber nur die!) im Wege der Anfech­tungs­lö­sung abge­führt werden.

Bei ver­spä­tet gestell­ten Insol­venz­an­trä­gen sind Geschäfts­lei­ter von der Haf­tung wegen steu­er­recht­li­cher Zah­lungs­pflich­ten nur für sol­che Steu­er­ver­bind­lich­kei­ten befreit, die nach Anord­nung der vor­läu­fi­gen Eigen­ver­wal­tung oder nach Bestel­lung eines vor­läu­fi­gen Insol­venz­ver­wal­ters fäl­lig wer­den.

IV. Was muss der Geschäfts­lei­ter wäh­rend der vor­läu­fi­gen Eigen­ver­wal­tung, also wäh­rend des Insol­venz­eröff­nungs­ver­fah­rens beachten?

Nach Anord­nung der vor­läu­fi­gen Eigen­ver­wal­tung gilt die Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung des § 15b Abs. 8 InsO, sodass in die­sem Zeit­raum die dann fäl­lig wer­den­den Steu­ern in Abspra­che mit dem vor­läu­fi­gen Sach­wal­ter vor­erst nicht gezahlt wer­den soll­ten. Da die Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung nicht gegen­über den Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen gilt, soll­ten in die­sem Zeit­raum jeden­falls wei­ter­hin die Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge nach der Anfech­tungs­lö­sung gezahlt werden.

V. ACHTUNG: Ände­rung des § 55 Abs. 4 InsO:

Nach dem geän­der­ten § 55 Abs. 4 S. 1 InsO gel­ten jetzt auch die durch die vor­läu­fi­ge Eigen­ver­wal­tung begrün­de­ten Umsatz­steu­er­ver­bind­lich­kei­ten sowie nach dem § 55 Abs. 4 S. 2 InsO sons­ti­ge Ein- und Aus­fuhr­ab­ga­ben, bun­des­ge­setz­lich gere­gel­te Ver­brauch­steu­ern, die Luft­­ver­­­kehr- und Kraft­fahr­zeug­steu­er sowie die Lohn­steu­er nach Ver­fah­rens­er­öff­nung als Mas­se­ver­bind­lich­keit.

Damit ent­fällt bei der Eigen­ver­wal­tung jetzt der Liqui­di­täts­vor­teil (Umsatz­steu­er­ef­fekt). Durch die Neu­re­ge­lung kann die Eigen­ver­wal­tung nicht mehr die nach Anord­nung der Eigen­ver­wal­tung unter Vor­be­halt gezahl­te Umsatz­steu­er im Wege der Anfech­tung zurück­ho­len und somit einen Liqui­di­täts­ef­fekt heben.

Aber: Durch den § 15b Abs. 8 InsO ist zumin­dest eine Haf­tung des Geschäfts­füh­rers für die nach Anord­nung der vor­läu­fi­gen Eigen­ver­wal­tung fäl­lig wer­den­den Steu­er­ver­bind­lich­kei­ten aus­ge­schlos­sen. Vor dem Hin­ter­grund sind die nach Anord­nung der vor­läu­fi­gen Eigen­ver­wal­tung fäl­lig wer­den­den Steu­ern zunächst nicht zu zah­len. Das Unter­neh­men gewinnt mit die­ser Neu­re­ge­lung Zeit, um Liqui­di­tät zu gene­rie­ren, ohne dass der Geschäfts­lei­ter eine Steu­er­haf­tung befürch­ten muss. Nach Ver­fah­rens­er­öff­nung sind die­se Steu­ern dann aber als Mass­ver­bind­lich­keit in die Liqui­­di­­täts- und Finanz­pla­nung ein­zu­stel­len und abzu­füh­ren. In ent­spre­chend gela­ger­ten Fäl­len kann es sich dann durch­aus anbie­ten, unmit­tel­bar nach Ver­fah­rens­er­öff­nung die soge­nann­te Mas­seun­zu­läng­lich­keit anzu­zei­gen, wenn die Liqui­di­tät zur Zah­lung die­ser Steu­ern nicht aus­reicht. Sämt­li­che Ver­bind­lich­kei­ten, die nach Anzei­ge der Mas­seun­zu­läng­lich­keit (Neu­mas­se­ver­bind­lich­kei­ten) ent­ste­hen, sind dage­gen in vol­ler Höhe zu zah­len. Damit ist also wei­ter­hin eine Betriebs­fort­füh­rung im eröff­ne­ten Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren mög­lich mit der Fol­ge, dass die wäh­rend der vor­läu­fi­gen Eigen­ver­wal­tung ent­stan­de­nen Steu­ern vor­erst hin­ten­an­ste­hen und wirk­lich erst bezahlt wer­den dür­fen, wenn alle Neu­mas­se­ver­bind­lich­kei­ten in vol­ler Höhe bedient sind (Was­ser­fall­prin­zip). Im Übri­gen kann auch im Fal­le der Mas­seun­zu­läng­lich­keit ein Insol­venz­plan für das Unter­neh­men auf­ge­stellt wer­den (vgl. § 210a InsO). Ein Insol­venz­plan bei Mas­seun­zu­läng­lich­keit wur­de vor kur­zem bei der Insol­venz von Hall­hu­ber erfolg­reich umgesetzt.

Fazit:

  1. Trotz der Neu­re­ge­lun­gen soll­ten fäl­li­ge Steu­ern vor Antrag­stel­lung wei­ter­hin im Wege der Anfech­tungs­lö­sung gezahlt wer­den, um eine Haf­tung der Geschäfts­lei­ter zu vermeiden.
  2. Die neu­ge­schaf­fe­ne Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung gilt nicht bei Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen. Hier bie­tet sich wei­ter­hin die Anfech­tungs­lö­sung an.
  3. Nach Anord­nung der vor­läu­fi­gen Eigen­ver­wal­tung sind die dann fäl­lig wer­den­den Steu­ern wegen der Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung nicht abzu­füh­ren. Bei den Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen muss aber in die­sem Zeit­raum wei­ter­hin mit der Anfech­tungs­lö­sung gear­bei­tet werden.
  4. Durch den geän­der­ten § 55 Abs. 4 InsO ent­fällt der bis­he­ri­ge Umsatz­steu­er­vor­teil bei der Eigen­ver­wal­tung. Auf der ande­ren Sei­te hat das Unter­neh­men jetzt Zeit, wäh­rend des Eröff­nungs­ver­fah­rens Liqui­di­tät zu gene­rie­ren, indem fäl­li­ge Steu­ern nicht abge­führt wer­den müs­sen. Unmit­tel­bar nach Ver­fah­rens­er­öff­nung sind die­se im Eröff­nungs­ver­fah­ren ent­stan­de­nen Steu­ern jedoch als Mas­se­ver­bind­lich­keit abzu­füh­ren. Aller­dings kann in bestimm­ten Kon­stel­la­tio­nen über die Anzei­ge der Mas­seun­zu­läng­lich­keit unmit­tel­bar nach Ver­fah­rens­er­öff­nung wei­ter­hin eine Betriebs­fort­füh­rung ermög­licht wer­den, selbst wenn die­se im Eröff­nungs­ver­fah­ren ent­stan­de­nen Steu­er­ver­bind­lich­kei­ten nicht bezahlt wer­den kön­nen. Ein Insol­venz­plan ist nach § 210a InsO auch bei Mas­seun­zu­läng­lich­keit möglich.

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